Mathias Wambsganß: »Alte und Kranke sind Teil einer vulnerablen Gruppe – was machen wir für sie?«

Mathias Wambsganß studierte Architektur und ist heute beratender Ingenieur der Bayerischen Ingenieurkammer, Lichtplaner und Lehrender. (Foto: 3lpi)

Bevor wir spezifisch zur Krankenhausplanung kommen: Was macht für Sie hinsichtlich des Tageslichts eine gesunde und je nach Bedarf anregende oder beruhigende Lichtplanung aus?

Tageslicht ist die beste Lichtquelle von allen und Lichtplanung muss auch damit anfangen. Es ist dramatisch, wenn man als Planer in ein Projekt dazukommt und merkt, man hätte – früher beigezogen – auf der Tageslichtseite vieles verbessern können. Tageslicht ist eine dynamische Lichtquelle, wir können sie aber in einem gewissen Umfang modulieren. Für mich ist eine gute Tageslichtplanung eine, die auf diese Dynamik reagieren kann. 

Wobei ich mit ›reagieren‹ eben nicht die Verwendung von statischen Sonnenschutzverglasungen meine! Damit kommt man zwar über die heißesten sechs Wochen im Jahr hinweg, hat aber in den restlichen 46 Wochen einen schlechteren Transmissionsgrad. Zudem beraube ich mich freiwillig nicht nur eines Teils der Tageslichtmenge, sondern auch der spektralen Qualität. 

Der Einsatz von viel Glas in der Fassade bedeutet zugleich nicht automatisch eine gute Tageslichtversorgung, denn viel Glas macht im Zweifel auch viele Probleme. Mit der richtigen Fassadengestaltung kann also auch ein ›Zuviel‹ verhindert werden. Wir müssen daher lernen, Öffnungen maßvoll zu platzieren: an den richtigen Stellen, mit den bestmöglichen Gläsern. Und bestmöglich heißt nicht nur im Sinne der thermischen Bauphysik.

Entwicklung des Schlafverhaltens: Von der Geburt bis ins hohe Alter: Die Schlaf- und Wachphasen am Tag verändern sich im Laufe der Jahre. (Grafik: licht.de)
Circadiane Beleuchtung: Eine tageslichtähnliche Beleuchtung mit nicht-visueller Wirkung ist nur tagsüber sinnvoll (blaue Kurve). In der Nacht, in den Abend- und frühen Morgenstunden ist dagegen biologisch nur gering wirksames Licht richtig. So werden biologische Abläufe im Körper, wie zum Beispiel des abendliche Anstieg des Hormons Melatonin (orange), nicht gestört. (Grafik: licht.de)

Welche dieser Faktoren würden Sie bezogen auf Krankenhaus- und Pflegesituationen als besonders kritisch betrachten?

Die Randbedingungen sind überall gleich, aber es gibt eine Differenzierung. Beim Krankenhausbau gibt es, salopp gesprochen, zwei Klassen von Patienten: fensternah oder fensterfern. In Studien wurde belegt, dass Patienten mit mehr Tageslichtbezug schnellere Entlassungszeiten haben. Dennoch: Prinzipiell sind die Patientenzimmer in modernen Klinikbauten dem Licht zugewandt. Im Krankenhaus geht es mir eher um das Personal, das hier 24/7 aktiv ist, insbesondere auch in Schichtarbeit. 

Ein Beispiel: Wir erarbeiten gerade ein Projekt für eine Notaufnahme. Wenn hier ein Patient ankommt, muss schnell entschieden werden, egal zu welcher Uhrzeit. Dennoch sollten diese Bereiche nicht ständig in voller Helligkeit betrieben werden, denn im Normalbetrieb muss das Personal in den Abend- und Nachtstunden eher vor zu viel blauwelligen Anteilen im Licht geschützt werden, die den circadianen Rhythmus1 negativ beeinflussen.

»Wir Menschen sind gemacht für das Leben draußen und halten uns doch sehr viel in Innenräumen auf. Zugleich werden wir in einer evolutionsbiologisch relativ kurzen Spanne deutlich älter, weil uns gute Nahrungsmittel und Medizin zur Verfügung stehen. Doch die Bauteile unseres Körpers verschleißen mit den Jahren. So kommt es unter anderem auch im Glaskörper des Auges zu Ablagerungen, die unser Sehen und unsere Lichtaufnahme beeinflussen.«

Mathias Wambsganß

›Das richtige Licht zur richtigen Zeit‹, denke ich bei Ihren Worten automatisch. Der Tagesablauf von Patient*innen im Krankenhaus ist aber eher passiv und äußeren Faktoren unterworfen – als Beispiel die Aufwach-, Ess- oder Schlafenszeiten. Mit dem eigenen, gesunden Rhythmus hat das wenig zu tun. Wie könnte Licht- und Tageslichtplanung die Menschen da unterstützen? 

Das zu berücksichtigen, muss heute zum Alltag einer Planung dazugehören. Wir können spezifische Konzepte heute leicht planen und es kostet kaum mehr Geld. Ich sehe hier eher das Problem des Wollens und ›schlau Umsetzens‹. Zum Beispiel sollte in einem Patientenzimmer, wenn nachts noch mal jemand kommt und nach dem Rechten schaut, ein anderes Licht angehen als tagsüber oder in kritischen Situationen, die volle Beleuchtung erfordern. So können wir den Bedürfnissen der Patienten zumindest in diesem Bereich gerechter werden. Notwendige zeitliche Abläufe einer Klinik können wir damit jedoch nicht beeinflussen.

Patientenzimmer mit transparenter Acrylglaskugel, REHAB Basel. Architektur: Herzog & de Meuron (Foto: © Margherita Spiluttini)

Schlafstörungen und teilweise damit einhergehende Depressionen sind aufgrund des sinkenden Melatoninspiegels2 im Alter für viele Menschen ein Problem. Im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen erschwert das den älteren Patienten den Aufenthalt in der fremden Umgebung. Könnte hier mit einer gezielten Tageslichtexposition tagsüber und gegebenenfalls auch mit Lichtdecken eine Erleichterung erreicht werden?

Die Studienlage zeigt einen durch (Tages-)Licht möglichen positiven Einfluss für Menschen mit Schlafproblemen oder den angesprochenen Depressionen. Im ersten Schritt gilt es, das verfügbare Tageslichtangebot gut zu nutzen. Insbesondere in den Vormittagsstunden geht ein biologisches Fenster auf, zu dem wir besonders empfänglich sind für größere Lichtmengen mit blauwelligen Anteilen. Diese Aktivierung am Vormittag hat bspw. auch einen positiven Einfluss auf die Schlafqualität in der folgenden Nacht. Für gesunde Menschen heißt das: Kauft euch eher keine teure Leuchte, sondern geht vormittags mindestens eine halbe Stunde raus.

Alte und Kranke sind jedoch Teil einer vulnerablen Gruppe, die das ggf. nicht mehr kann – was machen wir für sie? Man kann in der Planung dafür sorgen, dass die Hauptaufenthaltsbereiche der Betroffenen möglichst fassadennah angeordnet sind. Und wenn das Tageslichtangebot an dunklen Tagen nicht ausreicht, kann künstliche Beleuchtung das benötigte Licht spenden. Dabei ist einiges zu berücksichtigen. Beispielsweise, dass ausgedehnte leuchtende Flächen eine größere Wirkung erzielen als kleine, eher punktuelle Lichtquellen, obwohl die Lichtmenge, die das Auge erreicht, vergleichbar groß ist. Insgesamt ist es nicht mit der Auswahl einer Leuchte getan, sondern es braucht eine gesamtheitliche Planung der Räume inklusive der Materialien der raumumschließenden Flächen.

Man kann den circadianen Rhythmus durch diese Maßnahmen stärken, muss aber auch wissen, dass die Anforderungen dafür bei älteren Menschen höher liegen. Die Linsen im Auge trüben sich und vergilben im Laufe des Lebens, was die Farbwahrnehmung und die Blendempfindlichkeit stark verändert. Auch der Pupillendurchmesser verringert sich mit zunehmendem Alter und bei einigen alten Menschen ist eine Aktivierung durch Licht gar nicht mehr möglich.

Eine gelungene Kombination von Tages- und Kunstlicht lässt das Patientenzimmer wohnlicher wirken. Universitätsklinik Köln, HNO Privatzimmer. Innenarchitektur: 100 % Interior, Hersteller Medizinalleiste: Schyns Medizinaltechnik (Foto: Karin Hessmann)

Ist es aber nicht schwierig, funktionierende Lösungen für alle zu finden? Wer z. B. im Pflegeheim lebt und von seinen jüngeren Verwandten besucht wird, setzt sich womöglich irgendwo zusammen für Kaffee und Kuchen. Während Junge vermutlich am Fenster oder auf der Terrasse sitzen, kann das Alten zu hell sein. Wie plant man denn Räume, wenn das Bedürfnis der einen ganz anders ist als das der anderen? 

Genau da sind wir bei einem Zielkonflikt: Der Planende, der nur die nicht-visuelle Wirkung berücksichtigt, möchte die circadiane Synchronisation bei Senioren anregen. Das geht in den Vormittagsstunden mit einer eher hohen Lichtmenge einher. Beurteile ich die Szene jedoch visuell, weiß ich, dass das viele Licht für eine Sehaufgabe wie Stricken oder das Lösen eines Kreuzworträtsels passend ist. Ist jedoch der ganze Raum in dieser Helligkeit und reflektieren die Oberflächen das Licht stark, führt das sehr schnell zu Irritationen und zu Blendung. 

Lichtplanung muss sich daher an nicht-visuellen Wirkungen ebenso wie an wahrnehmungsbasierten Fragen orientieren. Wo sind die wichtigen Sehaufgaben und wie kann ich Blendungsrisiken minimieren?

Bei der Planung von Räumen ist daher eine zentrale Aufgabe, zu analysieren, wo die Menschen im Krankenhaus sitzen oder liegen und wie ihre Blickachsen verlaufen. Beleuchten wir Räume von oben, ist das für das Personal optimal, doch jemand, der viel liegt, wird womöglich ständig geblendet. Die Industrie liefert uns wunderbare Lichtwerkzeuge, aber wir brauchen vor allem die Lichtplanenden, die diese auch richtig einzusetzen wissen.

»Wir haben eine lange Zeit der Evolution hinter uns und der Weg von der Außen- zur Innenraumgesellschaft war mit 10 – 15 Generationen extrem kurz. Das ist aus Sicht der Evolutionsbiologie kein relevanter Zeitraum für eine entsprechende Anpassung an das teils erheblich reduzierte Strahlungsangebot.«

Mathias Wambsganß

Im Neuen Marthastift in Basel hilft circadianisch angepasste Beleuchtung, den Melatoninspiegel der Bewohnenden zu regulieren. Architektur: Müller & Naegelin Architekten BSA, Ateliergemeinschaft Basel (Foto: Leonardo Finotti)

Ich nehme es besonders bei Tagungen zum Thema Licht so wahr, dass ein enormes Wissen auf der Seite der Forschenden, also zum Beispiel bei Humanbiologen, besteht, und dass Lichtplanende zugleich in einem anderen Bereich sehr viel Wissen haben. Gleichzeitig gehen beim Wissenstransfer zwischen diesen Bereichen viele Inhalte verloren. Wie könnte es denn gelingen, dass trotz aller Schnelllebigkeit zentrale Botschaften aus der Forschung über die Lichtplanenden und die Architekturschaffenden bis hin zu den Bauherrschaften gelangt?

Fangen wir bei Letztgenannten an. Es stimmt, dass für erfolgreiche Planungen die Auftraggeber die Relevanz des Themas kennen müssen. Denn dann besteht ein gemeinsames Interesse, den Aspekt ›Licht und Gesundheit‹ gleichwertig mit anderen Anforderungen zu bearbeiten. Das gelingt allgemein durch weitere Wissensvermittlung in der Breite der Bevölkerung, aber auch durch das Verankern von Planungsempfehlungen oder Vorgaben in einschlägigen Regelwerken. Die ersten Schritte dazu wurden bereits unternommen, weitere werden folgen. Für die bereits aktiv Planenden bieten sich Weiterbildungen zum Thema an und für den Nachwuchs in den verschiedenen relevanten Disziplinen muss dieses Wissen Teil der Ausbildung sein. In den vier unterschiedlichen Studiengängen, in denen ich an der TH Rosenheim unterrichte, ist das Thema ›Licht und Gesundheit‹ selbstverständlich ein wichtiger Bestandteil.

Patient*innenzimmer im »AZ Zeno« in Knokke-Heist, Belgien. Architektur: B2Ai (Foto: © Tarkett/Tim Fisher & Milosz Siebert)

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Lichtplanung? 

Zuallererst mehr Bewusstsein für den Wert von Tageslicht. Wir diskutieren in der Regel den U-Wert und den g-Wert bei transparenten Bauteilen, beide stehen auch in Verordnungen zum sommer- und winterlichen Wärmeschutz. Die Transmission des Lichtspektrums hingegen, die steht nirgends. Sie ist sozusagen das ›Abfallprodukt‹, nachdem die Berechnungen zur thermischen Bauphysik abgeschlossen sind. Und das ist schade, da gibt es ein Ungleichgewicht. Mir ist es wichtig, dass man das Thema Licht bei Planungsaufgaben bereits in einer frühen Planungsphase diskutieren kann. Dass wir uns gemeinsam auch über die Kubatur Gedanken machen und darüber sprechen, welche Räume welche Art Fassaden brauchen und wie zur richtigen Zeit die richtige Menge Tageslicht in die Räume zu den Nutzer*innen gelangt. Dem folgt eine konsequente Planung der künstlichen Beleuchtung, die sich an gestalterischen, ergonomischen und eben auch nicht-visuellen Anforderungen orientiert, je nach Aufgabenstellung unterschiedlich gewichtet. Das ist mein Wunsch, und zwar für alle Gebäudetypen – nicht nur in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen.

Nach seinem Architekturstudium an der TH Karlsruhe (heute KIT) war Mathias Wambsganß Gründungspartner von ip5 – ingenieurpartnerschaft (1999 – 2016) in Karlsruhe. 2014 erfolgte die Gründung des Büros 3lpi lichtplaner + beratende ingenieure in München. Wambsganß lehrt seit 2007 Lichtplanung und Gebäudetechnologie an der TH Rosenheim, ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Lichttechnik und Lichtgestaltung e. V. (LiTG) und sitzt dem Technisch-Wissenschaftlichen-Ausschuss (TWA) der LiTG vor.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Themenspecials »Healing Architecture«. Darin diskutieren wir mit wichtigen nationalen und internationalen Fachleuten darüber, mit welchen Kriterien in Gesundheitsbauten eine hohe Aufenthaltsqualität geschaffen werden kann. Zudem stellen wir Gesundheitsbauten vor, in denen diesem Thema bereits ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Bereits erschienen sind:

Der Weg zu mehr Aufenthaltsqualität im Krankenhaus: Wirtschaftliche Aspekte der Krankenhausplanung

Heilende Räume gestalten: Fokus Europa

Mit Krankenhausarchitektur globale Herausforderungen meistern

Digitalisierung im Gesundheitsbereich

In Kooperation mit